Nach Angaben der IEA wird die Nachfrage nach Erdgas in diesem Jahr voraussichtlich um durchschnittlich rund 4 % sinken, was eine der größten Kontraktionen darstellt, die der Sektor jemals registriert hat. Die Gaspreise sind insbesondere in Europa niedrig, da bereits vor dem Ausbruch des Virus ein großes Überangebot bestand.
Die jüngsten Zahlen der Öl- und Gasproduzenten im zweiten Quartal spiegeln diese Entwicklung wider. Globale Größen verbuchen enorme Verluste und schreiben Vermögenswerte ab. IHS Markit prognostiziert für dieses Jahr einen Rückgang des Bruttogewinns der Öl- und Gasindustrie um fast 40 %. Tiefe Ausgaben- und Investitionskürzungen deuten auf einen Sektor hin, der bereit ist, Bilanzen zu konsolidieren. Die IEA schätzt den Rückgang der Öl- und Gasinvestitionen im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr auf rund ein Drittel.
Kurzfristige Perspektiven von enormen Unsicherheiten geprägt
Während kurzfristig die Entwicklung der Coronapandemie und ihre Auswirkungen auf die Nachfrage die Haupttreiber für die Preisentwicklung sein werden, könnten andere Faktoren wie die Entscheidungen der OPEC+ Gruppe in Bezug auf die Produktion, große Produktionsstörungen (z. B. durch Naturkatastrophen und Waldbrände hervorgerufen) oder eine mögliche Zunahme der Spannungen zwischen den USA und China diese ebenfalls beeinflussen. Was Gas betrifft, sollte die Saisonalität der Preise mit der Rückkehr der kühleren Temperaturen auf der Nordhalbkugel einen Aufwärtsdruck ausüben, aber die Preise werden aufgrund einer großen Überangebotssituation voraussichtlich niedrig bleiben. Im Durchschnitt dürften die Energiepreise in den nächsten Monaten nicht von großen Aufwärtstrends betroffen sein.
Die Ölnachfragespitze sollte früher als bisher erwartet erreicht werden
Der Ausbruch der Coronapandemie wird sich aber auch mittel- bis langfristig auf den künftigen Verlauf der Ölnachfrage und des Ölangebots auswirken. Erstens dürfte die Nachfrage nach raffinierten Kraftstoffprodukten in den nächsten fünf Jahren weiterhin zurückhaltend bleiben, da der Transportsektor noch einige Zeit betroffen sein wird. Soziales Distanzierungsverhalten und Home Office bleiben wahrscheinlich bestehen, während Geschäftsreisen auch nach der Verteilung eines Impfstoffs noch lange nicht Vorkrisenniveau erreichen werden. Zweitens beinhalten einige massive Coronavirus-Konjunkturpakete aus Industrieländern klimafreundliche Maßnahmen, die die Energieversorgungsmuster ändern sollten, zu Lasten fossiler Brennstoffe. Zum Beispiel hat die Europäische Kommission Klimaprogramme zu einem Kernstück ihrer Konjunkturmaßnahmen gemacht, während die IEA im Juni letzten Jahres in Zusammenarbeit mit dem IWF einen Plan ausgearbeitet hat, der ein Szenario mit einer umfassenden Verlagerung auf saubere Energie beinhaltet. Letzteres würde zu einem Rückgang des Ölverbrauchs beim Transport um rund 2 Millionen Barrel pro Tag führen (2 % der weltweiten Nachfrage nach Rohöl vor Covid-19).
Was den Erdgasverbrauch betrifft, so sind die Auswirkungen des Coronavirus-Ausbruchs auf die langfristige Nachfrage weniger deutlich als bei Öl, da Erdgas voraussichtlich einen Beitrag zur Energiewende leisten wird. Die Erdgasnachfrage dürfte in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen. Das zentrale Szenario der US Energy Information Administration, das 2019 ausgearbeitet wurde, prognostizierte einen Anstieg um 50 % bis 2050, was auf die Nachfrage des Industriesektors in Nicht-OECD-Ländern zurückzuführen ist. In seinem jüngsten Energie-Ausblick schätzt BP, dass die Nachfrage nach Gas auch im Rapid-Transition-Szenario in den nächsten 15 Jahren noch steigen wird.
Die nationale und internationale Politik wird mittel- bis langfristig der Haupttreiber für die Entwicklung des Energiebedarfs bleiben, aber der Ausbruch von Covid-19 hat die Unschärfe in Bezug auf seine Entwicklung definitiv verstärkt und den Nachfragespitzenwert zeitlich näher gebracht.
Verminderte Investitionen könnten das Angebot belasten
Theoretisch ist die globale Öl- und Gasindustrie in der Lage, das Nachfragewachstum dank ausreichender technisch verwertbarer Ressourcen langfristig zu befriedigen. Dies stellt einen wichtigen Paradigmenwechsel dar, da man in den letzten Jahrzehnten davon ausging, dass Öl in absehbarer Zeit immer knapper werden sollte. Dennoch sind vorübergehende Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage in die eine oder andere Richtung wahrscheinlich, da Erzeuger ihre Produktion nicht nur an die Nachfrage und die Preise, sondern auch an geopolitische Interessen sowie an wirtschaftliche und politische Ziele anpassen. Zusätzlich zu den Kapazitäten, die leicht auf den Markt gebracht werden können, wirken sich Investitionsentscheidungen auf die künftige Produktion aus. In dieser Hinsicht sollten aktuelle CapEx-Kürzungen durch Ölkonzerne das künftige Angebot belasten und dazu beitragen, den durch die Coronapandemie verursachten Nachfrageverlust auszugleichen.
Während der Höhepunkt der Ölnachfrage nach bisherigen Szenarien, die vor dem Ausbruch von Covid-19 ausgearbeitet wurden, nicht vor 2040 vorhergesagt wurde, lassen die pandemiebedingten Folgen in Bezug auf Nachfrage und Politik darauf schließen, dass dies früher eintritt. Öl- und Gasunternehmen, die durch das niedrige Preisniveau und ihre Volatilität geschwächt und von Investoren getrieben wurden, die zunehmend darauf aus sind, sauberere Projekte durchzuführen, könnten – mehr als zuvor – in Betracht ziehen, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen und sich nachhaltigeren Produkten als fossilen Brennstoffen zuzuwenden. Dies ist tatsächlich ein Trend, der hauptsächlich bei europäischen Öl- und Gasunternehmen zu beobachten ist. Strukturelle Veränderungen in der Branche sind daher wahrscheinlich.
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